Wisst ihr eigentlich

wer Karl Ernst von Baer war? – Karl Ernst von Baer! Noch nie gehört? Das dachte ich mir. Es gibt nicht viele Leute, bei denen es beim Lesen dieses Namens klingelt.

Baer war ein deutsch-baltischer Wissenschaftler. Sein ganzer Name lautete „Karl Ernst von Baer Edler von Huthorn“. Der 1792 geborene Mediziner und Naturforscher lehrte in Königsberg und St. Petersburg und ist aus mir unerfindlichen Gründen bei uns kaum bekannt. Wir kennen doch alle Thomas Edison, den angeblichen Erfinder der Glühbirne oder Josef Ressel, den tatsächlichen Erfinder der Schiffschraube. Was aber ungefähr zur selben Zeit von Baer entdeckt wurde, hätte eigentlich wie eine Bombe einschlagen müssen, hätte eigentlich der Männerwelt zu denken geben müssen, hat es aber nicht. Bis heute redet man so, als ob diese sensationelle Findung nie stattgefunden hätte, sogar Frauen scheinen die Schlagkraft dieser Sensation nicht bemerkt zu haben. Ihr werdet mir gleich zustimmen, wenn ich euch verrate, was Karl Ernst von Baer 1827 entdeckt hat. Und ihr werdet euch vielleicht fragen, warum man diese Entdeckung erst so spät gemacht hat. Das ist aber nicht das einzige Unglaubliche an dieser Sache, glaubt mir.

Ich will euch nicht mehr länger auf die Folter spannen, ich schreibe es jetzt einfach. Karl Ernst von Baer Edler von Huthorn hat 1827 entdeckt, dass es beim Homo sapiens, also bei der Tierart, der wir selbst angehören, Eizellen gibt!

Na, was sagt ihr jetzt? Ihr meint, das hätte man doch immer schon gewusst? Da irrt ihr euch aber gewaltig. Habt ihr euch denn noch nie darüber gewundert, dass beinahe weltweit Frauen in ihren Gesellschaften eine untergeordnete Rolle spielen. Aber sind Frauen untüchtiger als Männer, unwichtiger oder unintelligenter? Gelten sie nicht vielmehr sogar als liebevoller, friedvoller, sprachbegabter, und weiß Gott noch in wie vielen Sparten erfolgreicher als Männer? Woher dann ihre Zweitrangigkeit?

Das hängt vermutlich mit einer anderen Entdeckung zusammen, die schon deutlich früher gelungen ist. Der niederländische Mikroskop-Bauer Antoni van Leeuwenhoek hatte nämlich 1677 im sogenannten „Sperma“, so benannte „Spermien“ entdeckt. Wenn ihr jetzt Anführungsstriche an zwei Worten des letzten Satzes entdeckt habt, wundert euch jetzt noch nicht, ihr werdet euch gleich mit Recht darüber wundern. Da Leeuwenhoeks einlinsige Mikroskope deutlich besser waren als alle bisher geschliffenen Linsen, untersuchte man natürlich alles, was man zu fassen bekam. Der Engländer Robert Hook hatte schon 1665 bei der Untersuchung von Korkgewebe die Zelle entdeckt und damit die Welt für die Mikroskopie begeistert. Kein Wunder also, dass in den Jahren danach viele Entdeckungen gelangen, zum Beispiel Bakterien und eben „Spermien“.

Aber was sollten das für Dinger sein, die man im „Sperma“ entdeckt hat. Stellt euch vor, wie ehrwürdige Männer, fraglos waren es ausschließlich Männer die forschen durften, mit ihren lichtschwachen Mikroskopen, deren Schärfentiefe nach heutigem Maßstab unbefriedigend war, mit zittrigen Händen ihre Leeuwenhoek‘schen Mikroskope vor ihre bebrillten Augen hielten, um erstmals bisher Unbekanntes zu beschreiben. Die ehrwürdigen Herren sahen dann tatsächlich etwas, was sie nicht sehen konnten. Sie zeichneten tatsächlich, was nicht Sache war. Noch heute kann man ihre Zeichnungen bestaunen. Da wurden „Spermien“ mit Gesichtern dargestellt. Man sieht Ovale mit Armen und Beinen oder sogar mit Zipfelmütze, weil manche Zeichner die Geißeln der Objekte nur undeutlich erkennen konnten.

Übrigens bedeutet das griechische Wort Sperma verwirrenderweise nichts anderes als Samen. Versteht ihr jetzt?

Bis heute nennen wir männliche Keimzellen Samen, als ob wir nicht aus der Botanik wüssten was Samen sind. Sogar Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Ärztinnen und Ärzte tun das, die weiblichen unter ihnen sogar sehr zu ihrem eigenen Nachteil. Echte Samen sind nämlich schon Lebewesen der neuen Generation. Samen müssen nur mehr wachsen. Sie müssen nicht mehr mit einer anderen Zelle verschmelzen. Sie sollen nur noch in den „Mutter“-Boden gelangen und keimen. Samen bestehen gewöhnlicherweise aus einem Keim, aus ein oder zwei Keimblättern, in denen Baumaterialien sowie Energieträger für Wurzeln und Laubblätter gespeichert sind, und aus einer Schale. Zumindest ist das bei Blütenpflanzen so.

„Spermien“ sind also keine Spermien. Man nennt sie nur so, vermutlich weil in der Bibel das hebräische Wort für Samen unterschiedslos für Pflanzen, und Tiere verwendet wurde. Das war beim damaligen Naturverständnis verständlich.

Es kann natürlich sein, dass den meisten Jetztzeitmenschen nicht bekannt ist, dass Spermium auf Deutsch Samen heißt, aber warum nennen sogar Wissenschaftler und Biologielehrer diese Gebilde Samenzelle? Wie kann das sein?

Warum mich das so aufregt? Ist es denn nicht wurscht, wie man zu den männlichen Keimzellen sagt? Sehr geehrte Damen, ich verrate euch jetzt, warum das durchaus nicht egal ist. Mit der fälschlichen Behauptung, dass im „Sperma“, der „Samenflüssigkeit“, Samen seien, wurde die Zweitrangigkeit der Frauen im Fortpflanzungsgeschehen wissenschaftlich festgeschrieben. Was man von der Antike an vermutet hat, schien nun bewiesen zu sein. Demnach seien es die Männer, welche das Leben von einer Generation zur nächsten weitergeben, ausschließlich die Männer. Frauen seien dem Erdboden vergleichbar, sie würden den Fötus lediglich ernähren. Die Folgen dieser Fehleinschätzung kennen wir ja alle. Eine Frage scheint mir aber berechtigt. Was wäre, wenn all das der Papst und seine Männerriege wüsste?

Obwohl wir längst wissen, nämlich seit 1827, dass dieser „Beweis“ Unsinn ist, sagen wir weiterhin Sperma, Spermium oder salbungsvoll Samenzelle. Ich schlage vor, Mikrogamet zu sagen, wie man es schon längst bei niederen Lebewesen tut, oder einfach männliche Keimzelle.

Und noch was. Wisst ihr eigentlich, dass wir alle mit unseren Müttern näher verwandt sind als mit unseren Vätern? Nein? Na, dann lest weiter.

Vergleichen wir erst einmal die Größen der beteiligten Objekte. Im Vergleich zu den Mikrogameten sind Eier riesig. Außerdem steuert der Vater mit den Genen aus den Mikrogameten lediglich Information bei. Es ist die Eizelle, die nach der Befruchtung, wieder so ein botanischer Name wie „Fortpflanzung“, zum neuen Lebewesen heranwächst. Wir alle stammen von einer mütterlichen Zelle ab mit all ihren Organellen. Da ist vor allem der Zellkern zu nennen mit all seinen Bestandteilen, die Membranen und die Mitochondrien, die sogar eigene DNA haben. Außerdem leben wir vor der Geburt neun Monate lang in und mit unserer Mutter. Wir bekommen von ihr nicht nur fürs Wachstum notwendige Stoffe, wir bekommen all ihre Emotionen mit, im schlechten Fall sogar ihre Süchte, wenn wir an Nikotin oder Ethylalkohol denken. Außerdem müssten wir von Natur aus noch ein Jahr lang am Körper der Mutter getragen werden und noch länger gesäugt werden. Auch das verbindet.

Und woher kommt das Wort Muttersprache? Wir lernen bereits im Mutterleib Mutters Sprache kennen, deren Rhythmus und deren Tonfall. Daher erlernen wir nach der Geburt deren Sprache besonders leicht. Vokabel und Grammatik müssen wir noch dazulernen, klar, das geschieht indem wir nachplappern, was Mutter uns als unsere erste und beste Sprachlehrerin vorsagt.

Lasst mich abschließend noch einen frommen Wunsch formulieren. Mögen zukünftig alle Mütter ihren Kindern das Wort Mikrogamet vorsagen, wenn sie die männliche Keimzelle meinen. Amen.

Manfred Vesely